Die Aufwärtsspirale für ein glückliches Leben

von | 10.07.2023 | Glück, Positive Emotionen

Positive Emotionen sind essenziell für unser Leben, unsere Beziehungen und unser Wohlbefinden. Im ersten Teil der Artikelreihe zu positiven Emotionen hast du mehr über die Wirkung von positiven Emotionen im Vergleich mit negativen Emotionen erfahren und gelernt, auf welche Weisen beide Arten von Emotionen unser Überleben sichern. In diesem zweiten Teil wirst du mehr darüber erfahren, welche Rolle positive Emotionen für unser Wohlbefinden spielen und was wir aus den Erkenntnissen der Positiven Psychologie für unseren Alltag lernen können.

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Gedankenexperiment

Denke an ein Problem zurück, das du erfolgreich gelöst hast. In welcher Stimmung warst du, kurz bevor bzw. während du die Lösung gefunden hast?

Denke an einen Moment zurück, in dem du erfolgreich eine Beziehung geknüpft hast. Wie hast du dich gefühlt, kurz bevor bzw. während du zu diesem Menschen Kontakt aufgenommen hast?

Denke an deinen letzten großen Streit zurück, den du erfolgreich klären konntest. Welche Gefühle waren in dir lebendig, kurz bevor bzw. während du diesen Konflikt gelöst hast?

Auch wenn ich deine Antworten nicht kenne, tippe ich darauf, dass du in diesen Momenten mehrheitlich in einer guten Stimmung warst und eher positive Emotionen empfunden hast. Wie komme ich darauf? Die psychologische Forschung hat gezeigt, dass positive Emotionen uns helfen, Probleme zu lösen, flexibler zu denken und zu handeln, Beziehungen aufzubauen und resilienter zu reagieren. Negative Emotionen wie Angst oder Wut hingegen sorgen eher dafür, dass wir unsere Aufmerksamkeit fokussieren und unser Denk- und Handlungsspielraum eingeschränkt wird. Sicherlich kennst du den Tunnelblick, wenn du Angst hast oder reagierst ungewollt gereizt, wenn du gestresst bist. Negative Emotionen können eine Abwärtsspirale auslösen. Du stehst mit dem falschen Fuß auf und verschüttest deinen Kaffee, als du auf deinem Arbeitsweg mit jemandem zusammenstößt, weil du ihn übersehen hast (verengte Aufmerksamkeit). Auf Arbeit will dir den ganzen Tag keine kreative Lösung für eine schwierige Aufgabe einfallen (verminderte Kreativität und Problemlösefähigkeiten). Zum krönenden Abschluss streitest du dich mit einem Kollegen, weil du auf einen Kommentar überreagierst (eingeschränkte Handlungsflexibilität). Am Abend in einer Bar holst du dir einen Korb von einem tollen Typen (schlechtere soziale Fähigkeiten) und als du dir zuhause nur noch die Decke über den Kopf ziehen willst, versinkst du in Grübelschleifen und Selbstzweifeln (verringerte Selbstakzeptanz).

Das positive Pendant zur Abwärtsspirale

Wir alle kennen solche Tage oder Phasen. Doch worüber sich viele nicht im Klaren sind: Es gibt ein positives Pendant zu diesen Abwärtsspiralen. Während negative Emotionen solche Abwärtsspiralen in Gang setzen können, können positive Emotionen eine Aufwärtsspirale auslösen. Diese Erkenntnis fasst Barbara Fredrickson in ihrer Broaden-and-Build-Theorie1 zusammen, die eine der Kerntheorien der Positiven Psychologie darstellt.

Laut der Broaden-and-Build-Theorie haben positive Emotionen zwei wichtige Funktionen:

  1. Sie erweitern unsere Wahrnehmung, unser Denken und unser Handeln (Broaden).
  2. Sie bauen persönliche Ressourcen auf (Build).
Die Broaden-and-Build-Theorie nach Barbara Fredrickson

Broaden: kurzfristige Erweiterung der Ressourcen

Positive Emotionen erweitern kurzfristig unsere Ressourcen. Anstatt auf das Problem zu starren, sind wir in der Lage, eine breitere Perspektive wahrzunehmen, neue Sichtweisen einzunehmen und flexibler zu reagieren. Auch unsere Offenheit und Kreativität werden durch positive Emotionen gefördert. Dadurch können wir neue Lösungen und Alternativen entdecken, die uns in schwierigen Situationen helfen können. Die Ressourcenerweiterung gilt allerdings nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne. Zeigt man Menschen in einem positiven oder einem negativen Zustand mehrere Dias nebeneinander und misst, wohin sie schauen, zeigt sich, dass Menschen in einem negativen Zustand hauptsächlich auf das mittlere Dia schauen, während Menschen in einem positiven Zustand auch die Dias daneben wahrnehmen2.

Build: langfristiger Aufbau der Ressourcen

Diese kurzfristige Erweiterung von Wahrnehmung, Denken und Handeln führt zu einem langfristigen Aufbau persönlicher Ressourcen. Dadurch, dass wir Probleme lösen können, begegnen wir langfristig weniger Herausforderungen, sind erfolgreicher im Beruf und haben mehr Energie für andere Dinge. Unsere kreativen Ideen führen vielleicht zu einem neuen Projekt, einer Beförderung oder einfach schönen Erlebnissen. Dass wir Konflikte klären oder positive Interaktionen mit anderen erleben, verbessert unsere Beziehungen. Außerdem führen diese positiven Erlebnisse zu einem stabileren Selbstwertgefühl und mehr Selbstwirksamkeit. Auch auf körperlicher Ebene verbessert das regelmäßige Erleben positiver Emotionen die Gesundheit. Und positive Emotionen stärken unsere Resilienz, weil wir uns schneller von negativen Erfahrungen erholen und über einen besseren Puffer gegen Stress verfügen. All das sind wichtige Ressourcen, die uns in schwierigen Zeiten unterstützen und unser Wohlbefinden verbessern können.

Dieser Ressourcenaufbau wiederum führt dazu, dass wir mehr positive Emotionen erleben, weil wir gesund sind, stabile Beziehungen haben und ein gutes Leben führen. Während die positiven Emotionen wiederum zu mehr Ressourcen führen und so weiter. So setzt das Erleben positiver Emotionen eine Aufwärtsspirale in Gang, die uns dabei unterstützt, unser Wohlbefinden langfristig zu steigern3.

Bevor wir zur praktischen Anwendung der Broaden-and-Build-Theorie in deinem Alltag kommen, möchte ich eine weitere wichtige Entdeckung von Barbara Fredrickson mit dir teilen. Doch starten wir mit einem kleinen Gedankenexperiment.

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Gedankenexperiment

Stell dir vor, du würdest das Angebot bekommen, für ein Jahr an eine Glücksmaschine angeschlossen zu werden. Diese Maschine würde in dir positive Emotionen auslösen, von Freude über Entspannung bis Liebe und du müsstest dich nie mehr schlecht fühlen. Du müsstest nicht einmal, etwas dafür tun, dich gut zu fühlen. Du müsstest nur da liegen und genießen.

Würdest du dich anschließen lassen? Wieso bzw. wieso nicht?

Was auch immer deine Antwort ist, vermutlich hast du gemerkt, dass diese Entscheidung durchaus schwerwiegend ist. So gerne wir uns auch gut fühlen möchten, gleichzeitig gehören auch negative Emotionen zum Leben dazu. Und wahrscheinlich hast du auch das Bedürfnis, aktiv etwas dafür zu tun, wie du dich fühlst.

Positivity Ratio

Gesunde Balance von positiven und negativen Emotionen

Dass negative Emotionen auch Bestandteil eines glücklichen Lebens sind hat Barbara Fredrickson eindrucksvoll mit ihrer Forschung gezeigt. Und für ein Leben, in dem wir wachsen und zu der besten Version unserer Selbst werden, braucht es eine gesunde Balance von positiven und negativen Emotionen. Genau dieses Verhältnis hat Barbara Fredrickson ausführlich untersucht und bekannt gemacht als Positivity Ratio.

Die Positivity Ratio beschreibt das Verhältnis von positiven zu negativen Emotionen, das zu Wohlbefinden und flourishing beiträgt. Ein Verhältnis von drei positiven zu einer negativen Emotion scheint der Punkt zu sein, der den Unterschied macht zwischen dahinvegetieren und gedeihen4.

Positivity Ratio nach Barbara Fredrickson

Die Positivity Ratio

Du musst die Positivity Ratio nicht als exakte mathematische Formel auf dein Leben anwenden, sondern kannst sie eher als emotionale Richtschnur ansehen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht viel erscheint, erreicht die Mehrheit das 3-zu-1-Verhältnis nicht. Viele Menschen führen ihr Leben so, dass sie nur selten positive Emotionen erleben, dafür intensiv, z.B. im Urlaub oder am Wochenende. Im Alltag überwiegen jedoch eher negative Emotionen wie Langeweile, Ärger oder Erschöpfung. Doch um ein glückliches Leben zu führen und sich zu entwickeln, braucht es das regelmäßige und häufige Erleben positiver Emotionen. Die Intensität ist dann gar nicht so entscheidend.

Schon bei einem Verhältnis von zwei positiven zu einer negativen Emotion scheint die starke Wirkung negativer Emotionen, die schwächere Wirkung positiver Emotionen auszulöschen. Bei einem 2-zu-1-Verhältnis ist es unwahrscheinlicher, dass Menschen aufblühen und sich optimal entwickeln. Doch es braucht auch kein Verhältnis von 3 zu 0. Negative Emotionen müssen nicht verhindert werden. Sie sind erlaubt und wichtig für eine gesunde Balance und fungieren oftmals als Hinweise auf verletzte Werte oder Bedürfnisse, denen wir Beachtung schenken sollten.

Transfer in deinen Alltag

Doch was bedeuten die Broaden-and-Build-Theorie und die Positivity Ratio nun für deinen Alltag? Durch unseren „Default-Modus“, in dem wir Negatives stärker wahrnehmen und uns länger daran erinnern (Stichwort Negativity Bias), müssen wir aktiv werden, um die Positivity Ratio zu erreichen und die Aufwärtsspirale positiver Emotionen für uns zu nutzen. Es gibt drei grundlegende Strategien, die du in deinem Alltag anwenden kannst:

  1. Den Fokus auf das Positive richten
  2. Positives genießen
  3. Mehr Positives erleben

Den Fokus auf das Positive richten

Durch den Negativity Bias nehmen wir Positives in unserem Alltag weniger wahr. Eine Strategie ist es deshalb, das Positive, das schon da ist, mehr wahrzunehmen. Um unseren Fokus dahingehend umzuschulen, braucht es Übung und die Veränderung von Gewohnheiten. Dafür eignen sich klassische Übungen aus der Positiven Psychologie wie der Positive Tagesrückblick oder Dankbarkeitsübungen. Sie helfen dir im ersten Schritt zu erkennen, was es Positives in deinem Leben gibt. Bei langfristiger Durchführung etablierst du außerdem die neue Gewohnheit, Positives mehr wahrzunehmen und brauchst die Übungen irgendwann gar nicht mehr explizit durchführen, weil sich in deinem Gehirn neue Autobahnen für das Wahrnehmen positiver Emotionen gebildet haben.

Positives genießen

Wenn du nun Positives in deinem Leben wahrnimmst, kannst du die positiven Erfahrungen durch Genuss verstärken. Genuss kannst du schon vor dem positiven Erlebnis anwenden, durch Vorfreude. Wenn du beispielsweise in ein paar Wochen in den Urlaub fährst, kannst du bereits vorab positive Emotionen bei der Planung, beim Reden darüber oder beim Anschauen von Bildern deines Urlaubsortes erleben. Während deines Urlaubs kannst du dir bewusst Zeit nehmen, zu genießen und die schönen Momente auszukosten. Und auch nach dem Urlaub kannst du noch etwas von dem schönen Erlebnis haben, in dem du das Positive gewissermaßen verlängerst. Erzähle Freunden von deinem Urlaub, schau dir deine Urlaubsfotos an und erlebe die positiven Emotionen einfach noch einmal.

Mehr Positives erleben

Zu guter Letzt kannst du natürlich nicht nur das nutzen, was schon da ist, sondern bewusst neues Positives herbeiführen. Nimm dir regelmäßig Zeit für schöne Erlebnisse und die kleinen Freuden des Alltags. Das können kleine Momente, aber auch größere Aktivitäten sein – Sport, Kunst, Musik, Kultur, Natur, Zeit mit lieben Menschen oder was auch immer dir guttut und Freude bereitet. Hauptsache ist, du erlebst dabei positive Emotionen. Eine klassische Intervention der Positiven Psychologie dafür ist der Mini-Urlaub. Da jeder Mensch unterschiedliche Dinge und Aktivitäten als positiv empfindet, sei frei, zu experimentieren und zu entdecken, was für dich am besten funktioniert.

Egal, für welche Strategie du dich entscheidest oder ob du alle ausprobierst – sie helfen dir, Positives zu verstärken und so die Positivity Ratio zu erreichen, deine Aufwärtsspirale anzukurbeln und dein Wohlbefinden zu steigern.

Eine ausgewogene emotionale Ernährung

Barbara Fredrickson vergleicht das Erleben von Emotionen mit gesunder Ernährung. Ein Brokkoli am Tag macht noch keine gesunde Ernährung aus. Es braucht Abwechslung und Vielfalt und regelmäßige Portionen von gesundem Essen. Ebenso ist es mit positiven Emotionen. Dabei heißt gesunde Ernährung nicht, dass man nie wieder Chips oder Schokolade essen darf. Ebenso wie es bei einer positiven Lebenseinstellung nicht darum geht, alle negativen Emotionen zu unterdrücken oder zu verdrängen. Und so wie man durch gesunde Ernährung nicht gleich abnimmt oder sich vitaler fühlt, zeigen sich auch die Veränderungen durch eine gesunde emotionale Ernährung erst mit der Zeit und konsequenter Anwendung.

Eine gesunde emotionale Ernährung

In einer Welt, die oft von negativen Emotionen und Stress geprägt ist, ist es von großer Bedeutung, den Wert positiver Emotionen anzuerkennen und diese bewusst in unser Leben zu integrieren. Die Broaden-and-Build-Theorie erinnert uns daran, dass positive Emotionen nicht nur flüchtige Momente des Glücks sind, sondern tiefgreifende Auswirkungen auf unser gesamtes Wohlbefinden, unsere Resilienz, unsere psychische Flexibilität, unsere Beziehungen und unsere Entwicklung haben können. Wenn du die Prinzipien der Broaden-and-Build-Theorie und die Positivity Ratio in deinen Alltag integrierst, wirst du die positiven Auswirkungen positiver Emotionen erleben. Lassen wir uns von der Forschung inspirieren und nutzen wir die Kraft der positiven Emotionen, um ein erfülltes und glückliches Leben zu führen.

Ich wünsche dir ein buntes Potpourri positiver Emotionen!
Deine Alexandra

Quellen:

  1. Fredrickson, B. L. (2001). The role of positive emotions in positive psychology: The broaden-and-build theory of positive emotions. American Psychologist, 56(3), 218-226.
  2. Fredrickson, B. L., & Branigan, C. (2005). Positive emotions broaden the scope of attention and thought‐action repertoires. Cognition & Emotion, 19(3), 313-332.
  3. Fredrickson, B. L., & Joiner, T. (2002). Positive emotions trigger upward spirals toward emotional well-being. Psychological Science, 13(2), 172-175.
  4. Fredrickson, B. (2013). Updated thinking on positivity ratios. American Psychologist, 68(9), S. 814-822.

Was denkst du? Hinterlasse gerne einen Kommentar.

5 Kommentare

  1. Hallo liebe Alexandra,

    mein Sohn hat mir den Link von dir weitergeleitet. Dein Artikel war sehr interessant. Gern möchte ich den Newsletter abonnieren.

    Besten Dank schon einmal vorab und ein schönes Wochenende.

    Liebe Grüße

    Jeannette

    Antworten
    • Hallo liebe Jeannette,
      danke für deine Worte. Es freut mich zu hören, dass der Artikel für dich hilfreich war.
      Liebe Grüße
      Alexandra

      Antworten
  2. Hallo Alexandra,

    ich möchte endlich wieder in die Aufwärtsspirale für ein glückliches Leben, ohne Ängste, Zwänge und negativer Gedanken.
    Deshalb bin ich jeden Tag dankbar über positive und Hoffnungsvolle Worte.
    Gerne möchte ich dein Newsletter erhalten.

    Liebe Grüße Lars 🙂

    Antworten
  3. Hallo Alexandra, dein Newsletter kam im rechten Augenblick. er hat mich wieder zurück geholt in meinen positiven Zustand, den ich sehr genieße. Alle Freunde scheinen im Urlaub zu sein und ich fühlte mich träge und motivationslos für diesen Samstag. Nun geht die Spirale wieder aufwärts und dafür bin ich sehr dankbar.
    Hab du auch einen schönen Samstag 🥰

    (Newsletter bekomme ich und empfehle ihn weiter)

    Antworten
    • Liebe Freya,
      das freut mich sehr zu hören, dass die Inspiration im richtigen Moment kam! Und schon haben wir uns gegenseitig ein paar Glücksgefühle beschert 😊
      Ich wünsche dir ein schönes Wochenende,
      Alexandra

      Antworten

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Alexandra Loeffner - Positive Psychologie

Hallo, ich bin Alexandra!

Meine Vision ist eine Welt, in der jeder ein glückliches und erfülltes Leben führt. Meine Mission ist es die Positive Psychologie mit der Welt zu teilen, denn ich habe erlebt, welchen Unterschied es macht. Ich möchte dich inspirieren und begleiten - hin zu einem Leben voller Freude & Sinn. Deshalb schreibe, sammele und teile ich auf dieser Seite Inhalte rund um ein glückliches Leben. Für dein Aufblühen!

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