Die menschliche Psyche ist ein faszinierendes Zusammenspiel aus rationalen Überlegungen und emotionalen Impulsen. Im Alltag kann es einem jedoch vielmehr wie ein innerer Kampf zwischen dem, was wir wirklich wollen und uns guttut und dem, was angenehm und sicher ist, vorkommen. In diesem Artikel möchte ich dir deinen inneren Elefanten und Reiter vorstellen. Du wirst erfahren, wie eine harmonische Beziehung und eine gute Zusammenarbeit zwischen deinem Elefanten und Reiter dir hilft, bewusster, glücklicher und gesünder zu leben.
System 1 & System 2
Der berühmte Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman entwickelte das Konzept von System 1 und System 2, das er in seinem Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ erläutert. System 1 und 2 beschreiben zwei verschiedene Denkprozesse unserer Psyche.
System 1 umfasst schnelle, intuitive und automatische Denkprozesse, die oftmals unbewusst ablaufen. Es verarbeitet Informationen und Reize blitzschnell und ermöglicht uns so, sofort auf Reize zu reagieren, ohne darüber nachdenken zu müssen.
System 2 sind langsame, bewusste und reflektierende Denkprozesse, die kognitive Anstrengung erfordern. Wir nutzen System 2 für komplexe Aufgaben, kritische Entscheidungen und langfristige Planungen.
System 1 reagiert beispielsweise automatisch, wenn dein Name gerufen wird. Es lässt dich zur Seite gehen, wenn hinter dir gehupt wird, anhalten, wenn eine Ampel rot ist und es sorgt dafür, dass dein Herz schneller klopft, wenn du eine dunkle Straße entlang gehst. Auch bei jahrelangen Gewohnheiten wie Zähne putzen oder Auto fahren übernimmt zum großen Teil System 1 die Regie.
System 2 hingegen benötigst du, wenn du deine Steuererklärung machen musst, dich aufraffst, um zum Sport zu gehen oder wenn du etwas Neues lernst, bei dem du alle Konzentration brauchst.
Grundsätzlich ist natürlich nicht ausschließlich ein System aktiv, sondern immer beide. In vielen Situation hat jedoch eins der Systeme mehr Einfluss als das andere. Beim Essen beispielsweise greift System 1 eher zu Speisen, die uns schmecken oder die es kennt. Wenn wir jedoch bewusst eine Entscheidung treffen, um uns gesünder zu ernähren, übernimmt System 2. Ähnlich geht es vielen in stressigen Situationen. Oftmals ist System 1 aktiv und lässt uns impulsiv auf den Stress reagieren, bis wir es schaffen, System 2 zu aktivieren, das uns dabei hilft, den Stress zu bewältigen und kluge Entscheidungen zu treffen.
Die Metapher von Elefant & Reiter
Diese Unterscheidung und Aufgabenteilung von System 1 und 2 begegnet uns also jeden Tag und hat Einfluss auf unser Verhalten. Und sie lässt sich noch anschaulicher in der Metapher von Elefant und Reiter darstellen. Sie geht zurück auf Jonathan Haidt, der sie in seinem Buch „Die Glückshypothese“ beschreibt. In dieser Metapher steht der Elefant für System 1, die emotionalen Impulse und automatischen Reaktionen, und der Reiter für System 2, das bewusste Denken und rationale Überlegungen. Sie bietet eine anschauliche Darstellung für das Zusammenspiel von System 1 und 2.
Der Elefant bestimmt im Wesentlichen das Vorwärtskommen von Elefant und Reiter. Er hat ein gutes Gedächtnis und ihm ist es wichtig, dass es sicher und angenehm ist. Seine Aufmerksamkeit liegt eher auf der unmittelbaren Umgebung als auf Dingen in weiterer Ferne und er reagiert auf Konkretes, nicht auf Abstraktes.
Der Reiter hat mehr Überblick, ist flexibler und kann die Zukunft in seine Überlegungen mit einbeziehen. Außerdem ist er in der Lage mit anderen Reitern zu kommunizieren, während der Elefant über keine sprachliche Kommunikation verfügt und sich lediglich durch sein Verhalten ausdrücken kann. Dafür benötigt der Reiter viele Ressourcen für seine Aktivitäten. Doch es wird bevorzugt der Elefant mit Energie versorgt.
Der Reiter versucht, den Elefanten zu kontrollieren und zu lenken. Aufgrund der Größe und Kraft des Elefanten ist der Reiter allerdings darauf angewiesen, mit dem Elefanten zusammenzuarbeiten. Wenn der Elefant in eine bestimmte Richtung will, z.B. aufgrund von vermeintlicher Gefahr, Gewohnheiten oder positiven Emotionen, ist der Reiter nicht immer in der Lage, den Elefanten zu kontrollieren. Und so ist es auch in unserem Alltag. Oftmals bestimmen impulsive Reaktionen oder spontane Emotionen unseren Weg, während unser Verstand versucht, diese Impulse in Einklang mit unseren langfristigen Zielen und Werten zu bringen. Diese Beziehung und Dynamik zwischen Elefant und Reiter zeigt sich in den verschiedensten Situationen, z.B. wenn der Elefant Heißhunger auf Schokolade hat und der Reiter weiß, dass die Schokolade nicht förderlich für unsere Gesundheit ist und versucht, den Elefanten davon abzuhalten, die ganze Tafel zu essen oder wenn wir einen Vortrag halten sollen und unser Elefant Angst hat, auf die Bühne zu gehen, weil es sich für ihn gefährlich anfühlt, während der Reiter genau weiß, dass nichts schlimmes passieren wird und versucht, den Elefanten zu beruhigen und ihn auf die Bühne zu bringen.
Lerne deinen inneren Elefanten kennen
Um besser zu verstehen, wieso der Elefant in bestimmten Situationen auf bestimmte Weise reagiert und damit dein Leben beeinflusst, ist es hilfreich, ihn kennenzulernen. Der Elefant spiegelt deine echten Bedürfnisse, Stärken und Werte wieder und ist gleichzeitig geprägt von den Erfahrungen und Gewohnheiten, die du im Laufe deines Lebens gesammelt hast. Dein Elefant mag also Tätigkeiten, bei denen deine Bedürfnisse befriedigt werden, du deine Stärken nutzen kannst und die deinen Werten entsprechen. Wenn du Unlust oder ein ungutes Gefühl verspürst oder dich zu etwas zwingen musst, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dein Elefant etwas nicht mag. Wenn du hingegen bei etwas vollkommen im Flow bist und du Freude verspürst, kannst du davon ausgehen, dass auch dein Elefant begeistert ist.
Diese Anzeichen sind jedoch nicht ganz so schwarz-weiß, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Unlust oder ein ungutes Gefühl können auch auf einer negativen Erfahrung oder einer vermeintlichen Unsicherheit basieren, die dich nicht immer für den Rest deines Lebens von etwas abhalten sollte. Wenn du Sachen magst, die ungesund oder gefährlich sind, dann kann es sein, dass du schon zu lange Werte wie Gesundheit oder Sicherheit nicht gelebt hast und der Elefant diese nicht mehr als deine echten Werte ansieht. Gleichzeitig kann dein Elefant auch ein kleiner Hedonist sein, der positive Emotionen und Neues toll findet und deshalb gerne Süßigkeiten isst oder sich auf draufgängerische Aktionen einlässt.
Gedankenexperiment
Was mag dein innerer Elefant?
Und welche Bedürfnisse, Stärken oder Werte könnten dahinter stecken?
Die Beziehung zwischen Elefant & Reiter
Während Bedürfnisse, Stärken und Werte auf der Ebene des Elefanten aktiv sind, sind Elefant & Reiter gemeinsam für einen konstruktiven Umgang damit zuständig. Sowohl Elefant als auch Reiter haben beide besondere Fähigkeiten, die nur gemeinsam zu einem erfüllten und gesunden Leben führen. Es ist weder hilfreich immer nur auf aktuelle Impulse und Gelüste zu reagieren und langfristige Ziele auf dem Blick zu verlieren, noch ausschließlich rational über die Zukunft nachzugrübeln und sich dabei in Überlegungen zu verlieren. Es nützt überhaupt nichts, wenn der Reiter logische Überlegungen anstellt oder vermeintliche Werte verfolgen will, wenn der Elefant damit nicht einverstanden ist. Will der Elefant in eine andere Richtung gehen, als der Reiter es vorgesehen hat, wird der Reiter sein Ziel nicht erreichen. Es braucht also eine gute Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Elefant & Reiter.
Ein erster Schritt für eine bessere Beziehung zwischen deinem Elefanten & Reiter ist die Bewusstheit für beide Anteile in dir. Achte in verschiedenen Situationen bewusst darauf, welche emotionalen Reaktionen, Gewohnheiten und Impulse dein innerer Elefant hat und wann dein Reiter eingreift und welche Ziele er verfolgt. Hilfreich ist es auch, deine Bedürfnisse, Stärken und Werte zu ergründen und dir klar zu werden, welche Bedürfnisse & Werte dir wichtig sind, sodass Elefant & Reiter beide dieselben Ziele verfolgen. Ebenso kann es helfen, wenn nicht nur der Elefant deine Stärken kennt, sondern diese auch deinem Reiter bewusst sind. Wenn du Entscheidungen triffst oder Handlungsimpulse umsetzt, mache dir bewusst, ob gerade eher dein Elefant aktiv war (schnell und emotionsbasiert) oder dein Reiter (nach längerem Nachdenken und auf rationalen Gründen basierend). Versuche in Zukunft beide Perspektiven zu berücksichtigen und in deine Entscheidungen bzw. Handlungen einzubeziehen.
Energiemanagement zwischen Elefant & Reiter
Während der Reiter für unsere Weiterentwicklung wichtig ist, sind die Reiterprozesse jedoch nicht überlebensnotwendig. Das heißt im Zweifelsfall wird eher der Elefant mit Energie versorgt als der Reiter. Wenn unsere Ressourcen knapp werden und wir nur noch wenig Energie zur Verfügung haben, z.B. durch Müdigkeit, Hunger, Stress oder Überforderung ist der Reiter immer weniger in der Lage, auf den Elefanten einzuwirken, da vorrangig der Elefant versorgt wird. Wenn wir erschöpft sind, übernimmt also der Elefant weitgehend das Ruder. Vielleicht kennst du dieses Phänomen aus deinem eigenen Leben: Nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag fällt der Gang ins Fitnessstudio viel schwerer als sonst und der Griff zur Chipstüte dafür umso leichter. Der Elefant bevorzugt in diesem Fall die kurzfristig angenehme und sichere Tätigkeit und der Reiter ist nicht mehr in der Lage den langfristig wichtigen Wert Gesundheit durchzusetzen.
Doch der Reiter kann nicht nur durch knappe Ressourcen erschöpft werden. Auch wenn wir ein Leben leben, das uns nicht gefällt und entgegen unserer Werte und Stärken gestaltet ist kann dies dazu führen, dass der Reiter erschöpft ist. Denn er ist andauernd damit beschäftigt, den Elefanten von etwas zu überzeugen, was er (und wir) nicht mögen. Wenn du dich also regelmäßig zu Tätigkeiten zwingen musst, die dir keinen Spaß machen, die nicht mit deinen Werten übereinstimmen oder die du als sinnlos empfindest, kostet das dich und deinen Reiter Kraft. Und am Ende des Tages wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit eher in negative Verhaltensmuster fallen, wie ungesundes Essen, Ablenkung durch Fernsehen oder Betäubung durch Alkohol oder Drogen, weil der Reiter nicht mehr in der Lage ist, mit dem Elefanten zusammenzuarbeiten und dein Elefant irgendwann auch einmal etwas Angenehmes erleben und nicht nur drangsaliert werden möchte.
Gedankenexperiment
Was in deinem Leben (Tätigkeiten, Menschen, Kontexte etc.) erschöpft deinen Reiter?
Und wie kannst du ein Leben führen, das Elefant & Reiter gefällt und sie im Einklang sind?
Wenn du deinen inneren Elefanten & Reiter besser kennengelernt hast und die Zusammenarbeit zwischen ihnen ergründet hast, kannst du auf dieser Basis schauen, welche Veränderungen notwendig sind, um die Bedürfnisse beider Anteile besser zu berücksichtigen und eine harmonische Zusammenarbeit zu ermöglichen. Denn sowohl Elefant als auch Reiter haben positive Absichten für dich und bringen hilfreiche Impulse und Perspektiven mit.
Ich wünsche dir einen guten Kontakt zu deinem inneren Elefanten!
Deine Alexandra
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