Viele Menschen stellen sich früher oder später die Frage nach dem Sinn des Lebens und oftmals fällt es uns gar nicht so leicht eine Antwort zu finden. Denn an die Frage nach dem Sinn werden meist hohe Erwartungen, große Ziele und beispiellose Taten geknüpft. Da kann sich das eigene Leben, mit überschaubaren Zielen und vermeintlich kleinen Dingen schnell sinnlos anfühlen. Doch damit geht auch viel Potential verloren, Sinn zu erleben und etwas in das eigene Sinnempfinden zu investieren.
Gedankenexperiment
Wenn dich ein guter Freund fragen würde „Was gibt deinem Leben Sinn?„,
was würdest du antworten?
Menschen antworten auf die Frage nach dem Sinn ihres Lebens oft mit Dingen, die sie weitergeben oder die sie hinterlassen. Aber Sinn kann noch viel mehr sein. Denn Sinn hat weniger etwas mit bestimmten Zielen oder Tätigkeiten zu tun, sondern viel mehr mit der Haltung, mit der wir auf uns, unser Leben und unsere Ziele und Handlungen schauen.
Sinn wird gegeben
Aus der empirischen Sinnforschung wissen wir, dass Sinn nichts ist, was eine Handlung innehat oder nicht. Sinn entsteht, wenn etwas eine Bedeutung für uns hat. Und was wir Bedeutung beimessen, kann sehr unterschiedlich sein. Handlungen werden eher als sinnvoll erlebt, wenn sie zu einem übergeordneten (bedeutenden) Ziel beitragen. Ziele sind auch nicht per se sinnvoll, sondern haben für uns Bedeutung, wenn sie im Zusammenhang mit unseren Werten und Überzeugungen – unseren Lebensbedeutungen – stehen. Sind unsere Handlungen, Ziele und Lebensbedeutungen im Einklang, entsteht daraus ein Erleben von Sinn. Ändern wir also unsere Handlungen oder Ziele können wir unser Erleben von Sinn unterstützen oder schwächen.
In einer Studie wurden Putzkräfte befragt, die in einem Krankenhaus arbeiteten. Man wollte von ihnen wissen, wie zufrieden sie mit ihrer Arbeit waren und als wie sinnvoll sie diese erlebten. Und obwohl alle Befragten derselben Tätigkeit nachgingen, gab es große Unterschiede im Sinnerleben. Die Putzkräfte, die sich als Teil des Ganzen sahen und ihre Arbeit damit als einen Beitrag zur Gesundung der Patienten ansahen, erlebten mehr Sinn bei ihrer Arbeit, als die Putzkräfte, die ihre Tätigkeit einfach nur als Saubermachen betrachteten. Im Fall der Putzkräfte, die ihre Arbeit als sinnvoll erlebten, stand ihre Handlung im Einklang mit einem wichtigen Wert, nämlich der Gesundheit. Vielleicht war Gesundheit auch ein wichtiger Wert der anderen Gruppe von Putzkräften. Doch da sie keine Verbindung zwischen ihrer Tätigkeit und dem großen Ziel sahen, zahlte ihre Tätigkeit für sie nicht in einen wichtigen Wert ein und wurde dadurch auch nicht als bedeutend wahrgenommen. Diese Untersuchung zeigt sehr schön, wie sehr unsere Haltung unser Sinnerleben beeinflusst.
Egal, als wie sinnvoll du dein Leben gerade empfindest, dieses Empfinden ist nichts, dem wir hilflos ausgeliefert sind. Durch Reflexion, Änderung der Perspektive, kleine Verhaltensveränderungen oder manchmal auch grundlegende Veränderungen im Leben kann dem Leben mehr Sinn gegeben werden. Doch was bedeutet das jetzt konkret? Welche Quellen für Sinn gibt es im Leben?
Lebensbedeutungen als Sinnquellen
- Was ist der markanteste Wendepunkt in Ihrer bisherigen Lebensgeschichte?
- Bei welcher Person – leben oder auch schon tot – würden Sie am ehesten Orientierung suchen?
- Wenn es nach Ihnen ginge, wie und was sollte Ihr Kind einmal werden?
- Fühlen Sie sich berufen zu etwas, haben Sie so etwas wie eine persönliche Mission oder Lebensaufgabe?
- Einmal angenommen, Sie hätten eine Minute Zeit, gerade genug Zeit, um ein oder zwei Sätze zu sagen, in denen Sie Ihre Lebensphilosophie an ein fünfzehnjähriges Mädchen oder einen Jungen weitergeben. Was würden Sie sagen?
- Gibt es Ihrer Meinung nach etwas oder jemanden, der diese Welt lenkt?
- Was macht einen Tag für Sie zu einem ganz besonderen Tag?
- Gibt es etwas, was für Sie sehr wichtig ist, wofür Sie sich regelmäßig engagieren oder wofür Sie sich einsetzen?
- Bei welchen Tätigkeiten oder Erlebnissen können Sie in Ekstase geraten?
- Haben Sie schon einmal etwas erlebt, das Sie als Wunder bezeichnen würden?
Sie fragte also nach Lebensthemen, Lebensphilosophien, persönlichen Ritualen, spirituellen Erlebnissen und Religiosität. Mithilfe der Leitertechnik (Und warum? Wofür steht das für Sie? Was bedeutet das genau? etc.) wurden alle Antworten hinterfragt, bis man auf die eigentliche Lebensbedeutung stieß, die nicht weiter hinterfragt werden konnte. Die verschiedenen Lebensbedeutungen, die Tatjana Schnell so ermittelt hatte, wurden validiert und zusammengefasst, sodass 26 Lebensbedeutungen, unterteilt in fünf Dimensionen übrig blieben, die die Sinnquellen von Menschen beschreiben.
Die 26 Lebensbedeutungen im Überblick
Die 26 Lebensbedeutungen stellen verschiedene Werte und Überzeugungen dar, über die Menschen in ihrem Leben Sinn finden und die dem Leben Bedeutsamkeit verleihen.
vertikale Selbsttranszendenz
Glaube an ein größeres Ganzes und die Einbindung des Lebens in einen Gesamtzusammenhang
Explizite Religiosität
eine persönliche Gottesbeziehung haben, ein religiöses Leben führen
Spiritualität
Orientierung an einer anderen Wirklichkeit, Glaube an Schicksal, das Universum o.ä.
horizontale Selbsttranszendenz
Engagement für einen höheren Wert, oft über das eigene Individuum hinausgehend
Soziales Engagement
aktives Eintreten für die Gemeinschaft, das Gemeinwohl oder Menschenrechte
Naturverbundenheit
im Einklang mit der Natur leben, Verbundenheit mit der Natur erleben
Selbsterkenntnis
Suche nach dem wahren Selbst, Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit
Gesundheit
Gesundheit bewahren und fördern
Generativität
Dinge mit bleibendem Wert erschaffen, etwas hinterlassen
Selbstverwirklichung
Verwirklichen der eigenen Potentiale und Nutzen persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten
Herausforderung
nach Neuen, Abwechslung und Risiko suchen
Individualismus
die eigene Individualität leben und Potentiale ausleben
Macht
nach Dominanz und Führung streben, auch Kämpfen nicht aus dem Weg gehen
Entwicklung
Ziele erreichen und das eigene Wachstum fördern
Leistung
kompetent sein, Erfolg haben
Freiheit
unabhängig leben, frei entscheiden können
Wissen
Wissen aneignen, hinterfragen und verstehen
Kreativität
schöpferisch gestalten, fantasievoll sein
Ordnung
Werte und Traditionen bewahren und pragmatisch sein
Tradition
an Bewährtem und Gewohntem festhalten
Bodenständigkeit
pragmatisch sein und anwendungsbezogen agieren
Moral
anhand klarer Richtlinien handeln, ethisch verantwortlich leben
Vernunft
abwägen und rational handeln
Wir- und Wohlgefühl
das eigene und gemeinschaftliche Wohlbefinden fördern
Gemeinschaft
menschliche Nähe suchen und Kontakte pflegen
Spaß
mit Vergnügen und Humor durchs Leben gehen
Liebe
Romantik und Intimität suchen
Wellness
genießen und sich wohlfühlen
Fürsorge
hilfsbereit sein, für andere sorgen
Bewusstes Erleben
achtsam sein, Rituale haben, mit allen Sinnen wahrnehmen
Harmonie
ausgewogen leben und im Gleichklang mit sich und anderen
Du siehst, dass man Sinn auf vielen verschiedenen Ebenen finden kann, von Generativität bis zu Genießen. Sicher ist das Modell der Lebensbedeutungen nicht allumfassend, aber es gibt uns einen guten Einblick in mögliche Sinnquellen, regt zur Reflexion an und zeigt, dass Sinn nicht immer das Große und Übermenschliche sein muss, sondern auch in kleinen Dingen gefunden werden kann.
Reflexion
Welche der Lebensbedeutungen haben besonders mit dir resoniert?
Welche Lebensbedeutungen findest du in deinem Leben wieder?
Welche der Lebensbedeutungen sind für dich besonders bedeutsam und bilden eine Sinnquelle?
Sinnstifter im Zusammenspiel
Nachdem Tatjana Schnell die Lebensbedeutungen extrahiert hatte, begann sie Menschen in Fragebogen zu ihren Lebensbedeutungen zu befragen, um mehr darüber herauszufinden, wie sinnstiftend diese waren. Und ihre Forschung brachte spannende Erkenntnisse zutage, die auch für ein glückliches und sinnerfülltes Leben relevant sind.
Alle Lebenbedeutungen unterstützen ein Erleben von Sinn. Es gibt jedoch einige Lebensbedeutungen, die sich als besonders starke Sinnquellen und Sinnstifter herausstellen:
- Generativität
- Fürsorge
- Religiosität
- Harmonie
- Entwicklung
- Soziales Engagement
- Bewusstes Erleben
- Naturverbundenheit
- Kreativität
- Gemeinschaft
Auch wenn Generativität kultur- und altersübergreifend am meisten auf das Sinnerleben von Menschen einzahlte, ist es laut den empirischen Befunden von Tatjana Schnell trotzdem nicht besonders sinnvoll sich auf eine Lebensbedeutung zu konzentrieren. Denn ihre Untersuchungen zeigten auch, dass eine gewisse Unterschiedlichkeit zu einem höheren und stabileren Sinnerleben führt.
Konzentrieren sich Menschen in ihrem Leben nur auf ein oder zwei Lebensbedeutungen, geht damit das Risiko einher, dass bei einem Wegbruch dieser Sinnquellen nicht mehr viele Sinnstifter übrig bleiben. Außerdem ist es auch spannend zu schauen, aus welchen Dimensionen die eigenen Lebensbedeutungen kommen. Gehören sie hauptsächlich zu einer Dimension oder verteilen sie sich über mehrere? Besonders in schwierigen Zeiten oder Krisen ist dies bedeutsam, da wir beim Wegfall einer Lebensbedeutung, z.B. durch Trennung, Kündigung oder Einschärnkungen, dazu tendieren andere Lebensbedeutungen stärker zu leben. Allerdings müssen dafür zum einen andere Lebensbedeutungen vorhanden sein und diese müssen unterschiedlich genug sein, sodass ich diese trotz Einschränkungen oder Veränderungen leben kann. Die Forschung hat gezeigt, dass ab vier Lebensbedeutungen, die auf mindestens drei Sinndimensionen verteilt sind, das Sinnerleben stabiler ist und Sinnkrisen vorgebeugt wird.
Sicher ist dir beim Lesen der Lebensbedeutungen auch aufgefallen, dass einige gefühlt tiefer gehen als andere. Der Sinnstifter Generativität hat in der Regel eine andere Tiefe als Wellness oder Harmonie, nicht umsonst hat Generativität auch den stärksten Zusammenhang zum Sinnerleben. Das Merkmal, das die Tiefe von Sinnquellen ausmacht, ist die Selbsttranszendenz, also das über-sich-selbst-hinausgehen. Tiefe Sinnquellen finden sich vorallem in den Dimensionen horizontale und vertikale Selbsttranszendenz und haben gemeinsam, dass sie sich auf mehr als das Selbst beziehen und das Ego überwinden. Es geht um eine tiefere Verbindung zu dem um uns herum (horizontale Selbsttranszendenz) oder um eine Verbindung zu dem, das größer ist als wir (vertikale Selbsttranszendenz). Solch tiefe Sinnquellen intensivieren die Sinnerfüllung, das bestätigt auch die Forschung.
Damit möchte ich dich noch einmal anregen auf Sinnsuche zu gehen und in deinen Handlungen, Zielen und Überzeugungen nach Bedeutung zu suchen. Und diesen nicht nur zu suchen, sondern auch zu finden. Denn wir selber geben unserem Leben Sinn.
Ich wünsche dir unterschiedliche und tiefe Sinnquellen!
Deine Alexandra
Übungen passend zum Thema
Quellen
1. Schnell, T. (2016). Psychologie des Lebenssinns. Springer Verlag. Berlin Heidelberg.
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