Natur als Heilmittel
Schon Sebastian Kneipp, der Erfinder der Kneippkur, sagte: Die Natur ist die beste Apotheke. Kneipp hatte am eigenen Leib erlebt, wie heilsam die Natur sein konnte. Erkrankt an Lungentuberkulose und von den Ärzten aufgegeben, heilte er sich selbst mithilfe des Wassers. Aus dieser Erfahrung heraus, entwickelte er seine Kneipp-Therapie. Doch Natur wirkt nicht nur heilsam auf körperlicher Ebene, sondern auch auf psychischer. Was damals nur durch eigene Erfahrungen oder Heilungsgeschichten anderer bewiesen werden konnte, wird heute durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen untermauert. Hunderte Studien haben gezeigt, dass sich Natur positiv auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit auswirkt. Sei es der Aufenthalt in der Natur, das Leben in der Nähe der Natur oder einfach das Betrachten von Natur in der Realität, auf Bildern oder in Videos, die Natur beeinflusst unser Denken, Fühlen und Handeln auf positive Weise.
Reflexion
- Was hat deine Beziehung zur Natur geprägt?
- Welche Bedeutung hat Natur jetzt in deinem Leben?
- Wann und wie hältst du dich in der Natur auf?
1. Natur reduziert Stress
Ein Spaziergang durch die Natur oder ein Blick aus dem Fenster ins Grüne kann uns helfen, besser mit unserem Stress umzugehen. Menschen, die in Parks oder im Wald spazieren gehen, berichten über weniger empfundenen Stress. Während dieser Effekt bei einem Spaziergang durch die Stadt nicht auftritt.2 Natur hat also eine stressreduzierende Wirkung. Eine andere Studie3 zeigt, dass schon Natur in der Nähe des eigenen Zuhauses, ein Blick ins Grüne oder das Anschauen von Naturfotos Stress reduziert und negative Emotionen verringert.
Auch in belastenden oder stressigen Zeiten können wir die Wirkung der Natur nutzen. Wenn wir beispielsweise in den herausfordernden Zeiten einer Pandemie oder während anderer Krisen mehr Zeit draußen verbringen, kann dies dazu führen, dass wir uns weniger gestresst fühlen.4 Die stressreduzierende Wirkung der Natur geht einher mit körperlichen Veränderungen, die diesen Effekt unterstützen. Kontakt mit der Natur führt zu einem verringerten Cortisolspiegel (das Stresshormon), einem gesünderen Blutdruck und einer gesünderen Herzfrequenz.5
2. Natur verbessert die Gesundheit
Damit wären wir auch schon bei den positiven Effekten von Natur auf den Körper angelangt. Neben den erwähnten Effekten wirkt Natur noch auf vielen anderen körperlichen Ebenen heilsam. Ein spannendes Experiment zeigt, dass Patienten, die nach einer Operation aus ihrem Krankenhauszimmer ins Grüne schauen, weniger Schmerzmittel nehmen und sich schneller erholen, als Patienten, die aus ihrem Fenster auf eine Wand schauen.6 Menschen, die Kontakt mit der Natur haben, empfinden ihre körperliche Gesundheit als besser und schlafen besser. Und auch auf das Immunsystem hat der Aufenthalt im Grünen positive Effekte. Die Anzahl und Aktivität natürlicher Killerzellen, die Viruserkrankungen, Infektionen oder auch Krebs vorbeugen, erhöht sich nach einem 3-tägigen Aufenthalt im Wald.7 Man erholt sich also nicht nur schneller, sondern wird auch seltener krank, wenn man sich regelmäßig in der Natur aufhält.
3. Natur lindert psychische Beschwerden
Doch nicht nur auf körperliche Beschwerden wirkt sich Natur positiv aus, sondern auch psychische Beschwerden kann das Wundermittel Natur linden. Ganz gemäß den Worten von Ernst Ferstl: „Die mit Abstand beste Nerven-Heil-Anstalt ist die freie Natur“. Immer wieder zeigt sich, dass Menschen, die mehr Zeit in der Natur verbringen, über weniger psychische Probleme berichten. Sie fühlen sich weniger depressiv, weniger ängstlich und weniger einsam.8 Ein Grund für diesen Effekt könnte sein, dass Natur uns dabei hilft, die endlosen negativen Gedankenschleifen zu durchbrechen, in denen wir uns manchmal befinden. Denn auch das Erleben von negativen Emotionen und Grübeln werden durch den Kontakt mit der Natur verringert.9
4. Natur lässt uns auftanken
Selbst wenn wir keine psychischen Probleme haben, fühlen wir uns alle mal erschöpft. Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource, die durch die zunehmende Zeit vor Monitoren, ständigen Leistungs- und Termindruck und unser geschäftiges Leben oftmals sehr beansprucht wird. Eine Pause in der Natur oder der Blick ins Grüne können helfen, wieder aufzutanken. Kontakt mit der Natur fördert unsere Kreativität, lässt uns Probleme besser lösen und stellt unsere Konzentrationsfähigkeit wieder her.10 Und sogar bei Menschen, die in grünen Vierteln wohnen, zeigt die Natur positive Auswirkungen auf Aufmerksamkeitsdefizit-Symptome und innere Ruhe. Seine Pause während der Arbeitszeit nach draußen zu verlegen oder sich zwischendurch immer mal wieder einen Blick durchs Fenster zu gönnen, kann also dabei helfen leistungsfähig zu bleiben.
5. Natur macht glücklich
Wenn Natur uns hilft, Stress zu verringern, körperlich gesünder zu werden und psychische Probleme zu lindern, liegt die Annahme nah, dass wir dadurch auch glücklicher und zufriedener werden. Und das haben inzwischen auch unzählige Studien nachgewiesen. Wenn Menschen sich in der Natur aufhalten, sind sie glücklicher und erleben mehr positive Emotionen wie Dankbarkeit, Ehrfurcht oder Verbundenheit, als in städtischen Umgebungen.11 Und auch wenn wir uns mit der Natur verbunden fühlen, sind wir glücklicher, fühlen uns vitaler und erleben mehr positive Emotionen.12
6. Natur macht uns zu einem besseren Menschen
Wer den Weg zur Natur findet – findet auch den Weg zu sich selbst.
Klaus Ender
Natur macht uns nicht nur glücklicher, sondern auch zu einem besseren Menschen. In grünen Vierteln sind die Bewohner weniger kriminell und gewalttätig und sie fühlen sich mehr mit ihren Nachbarn verbunden.13 Die Betrachtung von Natur, entweder in Form von Bildern, Videos oder der Realität, führte in Experimenten dazu, dass die Teilnehmer sich als weniger selbstbezogen und isoliert von anderen und mehr als Teil von etwas Größerem empfanden. In sozialen Interaktionen verstärkt Natur Prosozialität und Altruismus. Menschen werden durch Kontakt mit der Natur großzügiger, kooperativer und zeigen mehr umweltfreundliches Verhalten.14
Natur bemerken
Die Natur, die uns umgibt, hat also vielfältige positive Auswirkungen auf unsere Psyche, unseren Körper und unser Handeln. Und es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie man Kontakt zur Natur aufnehmen kann. Die simpelste Variante ist das Betrachten der Natur. Schon der Blick durchs Fenster ins Grüne oder das Anschauen von Naturbildern bzw. -videos zeigt seine Wirkung. Eine zweite Möglichkeit ist, seine Aktivitäten mehr in die Natur zu verlegen. Wir können beispielsweise unseren Arbeitsweg durch einen Park oder etwas Grün verlaufen lassen. Wir können auf einer Parkbank lesen oder Freunde in der Natur treffen. Und wenn wir doch mal etwas Zeit übrighaben, können wir natürlich auch aktiv Zeit in der Natur verbringen. Sei es bei der Gartenarbeit, bei der Beschäftigung mit Tieren oder beim Wandern.
Wie ein Experiment15 eindrucksvoll zeigt, ist ein wichtiges Element die bewusste Wahrnehmung der Natur. Während eine Gruppe in ihrem Alltag ihren Fokus auf die Natur lenken sollte, sollte die andere Gruppe ihre Aufmerksamkeit auf menschlich erschaffene Objekte richten. Und obwohl die Gruppen ähnlich viel Zeit in der Natur verbrachten, berichtete die Natur-Gruppe nach 2 Wochen von einem höheren Wohlbefinden, mehr positiven Emotionen und einer prosozialen Orientierung. Es ist also gar nicht notwendig seine Umgebung, seine Gewohnheiten oder seinen Alltag umzugestalten oder lange Ausflüge oder weite Reise zu unternehmen, um die Kraft der Natur wirken zu lassen. Es reicht schon aus, die Momente, die wir sowieso draußen im Grünen verbringen, bewusst wahrzunehmen und die Natur aktiv zu bemerken. Dafür findet sich immer Zeit. Und diese Zeit ist gut investiert in unsere psychische und physische Gesundheit.
Reflexion
Wie könntest du mehr Kontakt zur Natur in deinen Alltag integrieren?
Wie könntest du deine Verbundenheit zur Natur stärken?
Ich wünsche dir viel Kontakt mit der Natur!
Deine Alexandra
Übungen, die die Kraft der Natur nutzen
Quellen:
- Klepeis, N. E., Nelson, W. C., Ott, W. R., Robinson, J. P., Tsang, A. M., Switzer, P., et. al. (2001). The National Human Activity Pattern Survey (NHAPS): a resource for assessing exposure to environmental pollutants. Journal of Exposure Science & Environmental Epidemiology, 11(3), 231-252.
- Tyrväinen, L., Ojala, A., Korpela, K., Lanki, T., Tsunetsugu, Y., & Kagawa, T. (2014). The influence of urban green environments on stress relief measures: A field experiment. Journal of environmental psychology, 38, 1-9.
- Mintz, K. K., Ayalon, O., Nathan, O., & Eshet, T. (2021). See or Be? Contact with nature and well-being during COVID-19 lockdown. Journal of environmental psychology, 78.
- Cindrich, S. L., Lansing, J. E., Brower, C. S., McDowell, C. P., Herring, M. P., & Meyer, J. D. (2021). Associations between change in outside time pre-and post-COVID-19 public health restrictions and mental health: brief research report. Frontiers in Public Health, 9.
- Yao, W., Zhang, X., & Gong, Q. (2021). The effect of exposure to the natural environment on stress reduction: a meta-analysis. Urban Forestry & Urban Greening, 57.
- Ulrich, R. S. (1984). View through a window may influence recovery from surgery. Science, 224(4647), 420-421.
- Li, Q. (2010). Effect of forest bathing trips on human immune function. Environmental Health and Preventive Medicine, 15(1), 9-17.
- Soga, M., Evans, M. J., Tsuchiya, K., & Fukano, Y. (2021). A room with a green view: the importance of nearby nature for mental health during the COVID‐19 pandemic. Ecological Applications, 31(2).
- Bratman, G. N., Young, G., Mehta, A., Lee Babineaux, I., Daily, G. C., & Gross, J. J. (2021). Affective benefits of nature contact: the role of rumination. Frontiers in Psychology, 12, 584.
- Stevenson, M. P., Schilhab, T., & Bentsen, P. (2018). Attention Restoration Theory II: A systematic review to clarify attention processes affected by exposure to natural environments. Journal of Toxicology and Environmental Health, Part B, 21(4), 227-268.
- MacKerron, G., & Mourato, S. (2013). Happiness is greater in natural environments. Global Environmental Change, 23(5), 992-1000.
- Capaldi, C. A., Dopko, R. L., & Zelenski, J. M. (2014). The relationship between nature connectedness and happiness: A meta-analysis. Frontiers in Psychology, 976.
- Bogar, S., & Beyer, K. M. (2016). Green space, violence, and crime: A systematic review. Trauma, Violence, & Abuse, 17(2), 160-171.
- Martin, L., White, M. P., Hunt, A., Richardson, M., Pahl, S., & Burt, J. (2020). Nature contact, nature connectedness and associations with health, wellbeing and pro-environmental behaviours. Journal of Environmental Psychology, 68.
- Passmore, H. A., & Holder, M. D. (2017). Noticing nature: Individual and social benefits of a two-week intervention. The Journal of Positive Psychology, 12(6), 537-546.
Ich stimme dir zu und es ist eine wirklich gute Erklärung! Danke für den Artikel.
Lia, ich stimme zu und wir müssen wirklich mit uns selbst im Reinen sein. Wir können uns öfter Zeit nehmen und uns selbst wunderbar finden, so wie wir sind – danke für den Artikel.
Als Künstlerin, die sich ebenfalls mit der positiven Wirkung der Natur auf uns Menschen auseinandersetzt, bin ich sehr begeistert von deinem inspirierenden Text und all den nützlichen Quellenangaben.
Ich habe unsere schönen Wälder hier in Deutschland wirklich zu lieben gelernt und es ist schön zu sehen, dass jemand wie du – mit deinem professionellen Hintergrund in der Psychologie – die Bedeutung der Natur in unserer heutigen, oft wirklich hektischen Welt betont.
Dein Text hat mich ermutigt, weiterhin an meinem Weg festzuhalten und mit meinen Gemälden einen positiven Beitrag zu leisten. Danke dafür!
Liebe Anja,
danke für deine Worte! Ich finde es sehr inspirierend, dass du mit deinen Talenten und Stärken, einen positiven Beitrag leistest und die Natur zu den Menschen bringst.
Liebe Grüße,
Alexandra
Ich finde auch, Natur reduziert Stress. Gerade Waldbaden ist so eine schöne Sache und das achtsame Laufen und beobachten bringt mir so viel Ruhe.
Danke für das Teilen deiner Erfahrung, Lia! Ich kann dir da total zustimmen.